
Worum geht's im Buch?
Die Geschichten erzählen von der Kindheit und Jugend einer Bergmannstochter, die früh ihrem Freiheitsdrang folgt; von einem eigenwilligen Vater und einer spät rebellierenden Mutter; von zwei Schwestern, die sich nicht viel zu sagen haben. Und natürlich von den lieben Verwandten, die auch nicht fehlen.
Wie ein Mosaik setzen sich die nicht chronologisch angeordneten Geschichten zu einem Gesamtbild zusammen; teils komisch, teils dramatisch und manchmal auch traurig.
Leseprobe
Mein Vater, die Beatles und ich
Im Wohnzimmer meiner Eltern stand ein sogenannter »Musikschrank«, ein sideboardartiges Möbelstück mit integriertem Radio und darunter, staubgeschützt hinter Schiebetüren, Plattenspieler und Plattenständer.
Zu den Schlagerlieblingen meines Vaters gehörten vor allem Lolita und Freddy Quinn. Dazu musste er keine Platten auflegen; ihre Schlager, in denen sich alles um Liebesweh, Fernweh und Heimweh drehte, waren oft genug im Radio zu hören. Sie weckten Gefühle, die im Widerspruch zu seinem realen Leben standen. Mein Vater war sesshafter als jeder andere Mensch um uns herum; selbst meine Oma war unternehmungslustiger, als sie nach der Grenzschließung 1961 beschloss, jedes Jahr ihre jüngste Tochter in der DDR zu besuchen.
Der Musikschrank wurde irgendwann durch ein anderes Möbelstück ersetzt und wanderte ins Kinderzimmer. Als Ersatz, um Schlager zu hören, genügte ein Radiorecorder, der in der Küche stand und nicht viel Platz beanspruchte.
Alle tonerzeugenden Geräte wurden übrigens vom Vater bedient, beziehungsweise einmalig eingestellt. Diese Einstellungen blieben unverändert. Im Prinzip gab es nur die Einstellungen »Ein« und »Aus«. Um Ärger zu vermeiden, hielten wir uns weitgehend daran. Die Oberhoheit über Radio und Plattenspieler im Kinderzimmer war allerdings wortlos auf mich übergegangen. Eine Zeit lang drehte ich wie wild am Radio herum und suchte Stationen, die uns früher fremd waren: zum Beispiel Radio Luxemburg. Die Frequenzen präzise einzustellen, war nicht leicht und die Hörqualität bescheiden.
Was den Musikgeschmack betraf, gab es zu Hause keine Überraschungen. Auf Lolita und Freddy Quinn folgten Wencke Myhre, Gitte, Rex Gildo. Von Bob Dylan, Joan Baez oder Leonard Cohen erfuhr ich erst, als ich zu Hause ausgezogen war.
Aber bevor es soweit war, rollten die Stones und die Beatles ins Haus.
Als ein Konzertausschnitt der »Pilzköpfe« im Fernsehen übertragen werden sollte, sitze ich allein im Wohnzimmer und warte gespannt auf die berühmten Vier. Plötzlich erscheint mein Vater und setzt sich mir gegenüber in einen Sessel. Das passt mir überhaupt nicht. Wird er den Fernseher ausstellen und einen Vortrag halten? Mir ausführlich erläutern, was er von der neumodischen Musik aus England hält, den langen Haaren der jungen Männer? Nein, tut er nicht. Er wartet, bis die Beatles auf dem Bildschirm erscheinen und die Mädchen vor der Bühne anfangen zu kreischen. Ihre Aufregung überträgt sich auf mich. Ich habe meinen Vater glatt vergessen, bis ich durch das Gekreische der Mädchen seine Stimme höre:
»Wenn du auch hysterisch wirst, stelle ich den Kasten aus.«
Eine kurze, klare Ansage, die Wirkung zeigt. Meine Aufregung ist schlagartig vorbei. Ich sitze leblos wie eine Schaufensterpuppe vor dem Bildschirm, unbeteiligt und gleichgültig.
Am Schluss saß mein Vater allein im Wohnzimmer. Ich bin in die Küche gegangen und habe meine Hausaufgaben für den nächsten Schultag gemacht.
Details
- Titel: Warum ich keine Stewardess wurde – Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet der 1960er Jahre
- ISBN: 978-3-7455-1167-3
- Erscheinungsjahr: 2024
- Seiten: 120
- Verlag: Athena (Link)
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Je abstrakter der Gegenstand,
desto höher die Imaginationskraft
– Immanuel Kant, 1790
Worum es mir geht
- um Vielfalt, Eleganz, die Schönheit auch winziger Details
- um Ästhetik, auch im Stadium des Verfalls
Was ich sehe
- Blätter, Blüten und Baumrinden, die je nach Tageszeit und Lichteinfall unterschiedliche Farbtöne annehmen; manchmal farbstark, leuchtend, zu anderen Zeiten gänzlich unscheinbar
- Farben, Flächen und Strukturen; Filigranes


